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Von der „Zivilisationskatastrophe“ zur Sonnenanbetung

Umehara Takeshi äußert sich als Ehrenmitglied des Reconstruction Design Council in Response to the Great East Japan Earthquake über eine geistige Neuorientierung Japans nach Fukushima

Lisette Gebhardt (Japanologie Frankfurt)


(Umehara Takeshi) 

Der bekannte Philosoph, konservative Ideologe und langjährige Berater der japanischen Regierung, Umehara Takeshi (*1925) wurde im April 2011 zum Ehrenmitglied des von der japanischen Regierung gegründeten Reconstruction Design Council in Response to the Great East Japan Earthquake (東日本大震災復興構想会議 / Higashi Nihon Daijinsai Fukkô Kôsô Kaigi) bestimmt. In der japanologischen Forschung hat man den Philosophen als „spirituellen Intellektuellen“ (reiseiteki chishikijin) behandelt und damit einen zentralen Aspekt seiner Arbeiten analysiert.[1] Zu Umeharas Thesen gehört das Ideal der Jômon-Zeit, der Animismus als japanische Weltanschauung, der folkloristische Appell an eine Rückbesinnung auf eine archaische Geistigkeit und eine mit religionsbezogenen Argumenten vorgetragene Zivilisationskritik; seine Ansichten prägten vor allem in den 1980er Jahren bis zum AUM-Zwischenfall 1995 den japanischen Kulturdiskurs – einschlägige Akzente setzte Umehara während seiner Tätigkeit als Direktor des Kultur- und Forschungsinstitut Nichibunken/Kyôto (1987-1995).

In dem aktuellen Artikel „Bunmeisai“ wo norikoe jihi no seishin minagiru kokka ni (Nach der Überwindung der „Zivilisationskatastrophe“ – zu einem Staat voll des Geistes der Gnade; erscheinen in Shûkan Asahi 2011.5.6-13, S. 150-152) betont Umehara Takeshi nun erneut, wie wichtig es wäre, sich auf ein „altüberliefertes japanisches Denken“ (Nihon korai no shisô) zu besinnen und die moderne Zivilisation mit ihrer gefährlichen Technikanwendung zu überwinden; für eine bessere Zukunft des Landes nach der Katastrophe von Fukushima schlägt der Philosoph vor, zur Sonnenanbetung (taiyô sûhai) zurückzukehren – und das in zweifacher Hinsicht: spirituell und umwelttechnologisch.

Viele Leser, so beginnt Umehara seinen Beitrag, würden ihn wohl für einen typischen Menschen aus Kyôto halten, doch seine Mutter stammte aus dem japanischen Nordosten. Insofern vertrete er auch die Kultur des Nordens mit ihrer Lyrizität, die einen fundamentalen Wesenszug der gesamten japanischen Kultur darstelle. Umso wichtiger sei es, sich um den Wiederaufbau des Nordens zu bemühen. Als ihn unvermutet der Anruf des Ministerpräsidenten Kan zu Hause erreichte, habe er auch kaum gezögert, die ihm angetragene Aufgabe, Ehrenvorsitzender des Wiederaufbauausschusses zu sein, anzunehmen.

Für Umehara zeigt sich die Katastrophe von Fukushima in erster Linie als eine „Zivilisationskatastrophe“, die vom anmaßenden Umgang der Moderne mit Technik zeugt. Symbol dieser modernen Zivilisation sei die Atomkraft. Nun sei es an der Zeit, diese moderne auf der Atomkraft basierende Zivilisation zu hinterfragen. Er sei stets gegen die Nutzung von Kernenergie gewesen, die ihre Entstehung wahrlich einer Wissenschaft des Teufels verdanke. Ihm habe es mißfallen, daß die japanische Regierung und die Stromkonzerne, selbst nach den Zwischenfällen von Three Mile Island und Tschernobyl, die Gefährlichkeit dieser Technik leugneten. Natürliche Energiequellen wie Sonnenkraft und Windkraft  hätten schon früher ausgebaut werden müssen.  Der Philosoph räumt ein, im Laufe seiner Karriere die Unterstützung der Konzerne angenommen zu haben. Deshalb hätte er sich nicht stärker im Sinne einer Nachhaltigkeitswende äußern können, was er jetzt bereue.

Neben einer neuen umweltfreundlichen Energienutzung, sollte künftig auch eine andere geistige Orientierung für Japan zukunftsweisend sein. Anstelle der Werte der Moderne mit ihrem Anthropozentrismus könnten der alte japanische Glauben an die Sonne und eine überlieferte Philosophie der Konvivalität mit Gräsern, Bäumen und der Erde bessere Impulse geben. Man hätte sich von der gegenwärtigen Konsum- und Wegwerfmentalität sowie vom Primat des Ökonomischen, dem heute auch Gelehrte und Künstler in Teilen anhingen, zu verabschieden. Es sei ein Fehler, sein Glück nur in der Wirtschaftswachstumsrate sehen zu wollen. Ein Geist des unterstützenden Miteinander sei gefordert, und ein Staat, dem Mitgefühl nicht fremd sei. 

Umehara Takeshis Darlegungen zu einem Umdenken in Sachen Ökonomisierung und Energieverbrauch sind nachzuvollziehen, seine Beschwörung eines indigenen Japan mit Jômon-haften Qualitäten und eines wiedererweckten Sonnenkults um Amaterasu Ômikami muten freilich unzeitgemäß an; eine solche „spirituelle Botschaft“ erreicht die Menschen der japanischen Gegenwart wohl nicht mehr. Interessant ist in diesem Artikel der Hinweis darauf, daß Umehara manche Zuwendung von den Stromerzeugern erhalten hat und sich wohl als „Gefälligkeitsgelehrter“ bewähren mußte. Wie tief  hinsichtlich dieses Umstandes die Reue des Philosophen ausfällt, weiß nur er selbst.


[1] Inken Prohl: Die „spirituellen Intellektuellen“ und das New Age in Japan (2000) ; Lisette Gebhardt: Japans Neue Spiritualität (2001).
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