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Dreimal ein „System der Unverantwortlichkeit“

Sakai Naoki

Quelle: Gendai shisō, Heft 5/2011, S.26-33

Übersetzt von Theresia Berenike Peucker (Leipzig)


Seit die nordostjapanische Pazifikküste von der Erdbebenkatastrophe heimgesucht wurde, ist bereits ein Monat vergangen. Es scheint, als ob sich in der Politik der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft etwas bewegt: nicht nur hinsichtlich der Trauer um die Opfer und der Unterstützung der zu Schaden gekommenen Personen, sondern auch in Bezug auf die Prognose von künftigen Schäden und Unsicherheiten, die derartige Prognosen hervorrufen. Zu zentralen Punkten der Debatte werden hier Befürchtungen um die „Sicherheit“, die Verlässlichkeit der „Statistiken“ und die Sorge über das „Leben“ in der Zukunft. Bei Sicherheit, Statistiken und den Schrecken des Unglücks geht es nicht nur um die Opfer aus dem Gebiet, das direkten Schaden durch die Erdbebenkatastrophe genommen hat. Es ist zu einer enormen Mobilität der Bevölkerung in der Umgebung des Atomkraftwerkes und von Bewohnern der Nachbarpräfekturen von Fukushima in einem Bereich von zwanzig, dreißig Kilometern Entfernung vom Atomkraftwerk gekommen. Zudem verlassen hunderttausende in Japan ansässige Ausländer aus dem Hauptstadtkreis die japanischen Inseln oder siedeln in das von Fukushima weit entfernte Westjapan um. Da der von Japan her wehende Wind auf dem Pazifik wohl zuerst in Hawaii ankommen würde, kommen auf einmal auch in meinem Umfeld Bewegungen in Gang: so wollte man etwa einen von Ende März bis Anfang April in Hawaii stattfindenden Kongress abbrechen. Im hinter Hawaii liegenden Kalifornien, so hörte man, wurde wegen der radioaktiv verschmutzten Luftströme ernsthaft diskutiert, ob man nicht einen noch sichereren Ort suchen und weggehen sollte. Schon legt die südkoreanische Regierung gegenüber der japanischen Regierung Protest ein, die ohne eine internationale Übereinkunft verseuchtes Wasser freisetzen ließ, das hochgradig verstrahlt war. Wohl oder übel müssen wir der Tatsache ins Angesicht sehen, dass nicht nur das gegenwärtige Japan, sondern auch die sogenannte erste Welt allgemein von Besorgnis, Worten und Taten, politischen Maßnahmen, Prognosen und Statistiken um das Thema „Sicherheit“ beherrscht und bewegt wird. Nun ist ganz offensichtlich, dass alle Regionen der Erde miteinander verbunden sind und es unmöglich ist, Katastrophen und die Maßnahmen dagegen auf eine nationale Gesellschaft zu begrenzen, ihnen innerhalb des Territoriums eines Staates beizukommen und die Dinge  der nationalen Souveränität zu überlassen.

Schon beim Unfall von Tschernobyl haben wir eine Ahnung vom internationalen Charakter eines Atomkraftunfalles bekommen. Aber angesichts des Unfalls im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi dürfen wir nicht mehr so tun, als sähen wir nicht, dass die Katastrophe unter der Kompetenz einer nationalen Souveränität nicht in den Griff zu bekommen ist, dass ihre Opfer potentiell die ganze Menschheit und alle anderen Lebewesen sind. Damit ist zugleich wie ein Gespenst das politische Subjekt  „Weltbürger“ aufgetaucht. Nunmehr wird eine Geschichte gemacht, bei der es Aussicht auf Erfolg hat, als „Weltbürger“ zu sprechen, Forderungen zu stellen und zu handeln (1).

Im Fokus stehen die Oligopole, allen voran Tepco (Tōkyō Electrical Power Company), die Bürokratie der japanischen Regierung und Politiker, die den Oligopolen kontinuierlich Privilegien erteilt haben, außerdem die in diesem Filz herangezogenen Wissenschaftler und Ingenieure sowie die um sie gescharten und von ihnen profitierenden kleinen Unternehmen und die Lokalpolitik. Es ist wohl eine unbestreitbare Tatsache, dass ihre Kooperation und ihre gegenseitige Abhängigkeit ein „System der Verantwortungslosigkeit“ bilden, das mit einem Schlag durch das Unglück im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi aufgedeckt worden ist. Doch darf nicht vergessen werden, dass die Medien zu diesem System der Verantwortungslosigkeit enorm beigetragen haben. Hätte es ohne ihre Zustimmung so lange überleben  können?

Allein schon bei den Meldungen zur Erdbebenkatastrophe in Ostjapan zeigte sich eine tiefe Kluft zwischen den Nachrichten im Ausland und jenen der großen Zeitungsverlage und TV-Sender in Japan. Es entspricht wohl dem natürlichen Gang der Dinge, dass unter den Aspekten kulturelles Kapital und Beherrschung von Fremdsprachen zwischen den Menschen, die Zugriff auf ausländische Berichterstattung haben, und denen, die über diese Fähigkeiten nicht verfügen, beim Verständnis der Katastrophensituation ein großes Gefälle entsteht. Es heißt, dass auch in Japan Leute mit entsprechendem kulturellen Kapital durch Informationen aus ausländischer Berichterstattung und Internet etwas über die Lage in Japan erfahren wollen. Das ist wohl selbstverständlich, zumal es scheint, dass die großen Medien Japans ihren journalistischen Auftrag aufgegeben haben. Sie reihen lediglich Ereignisse aneinander, die die vom Publikum verspürte Verunsicherung in Sachen Sicherheit wiedergibt, oder wiederholen Bekanntmachungen und Erklärungen der Regierung. Oder aber sie beruhigen einfach nur die aufgärende Verunsicherung mit rührseligen Anekdoten in Bezug auf die Opfer. Den Opfern  der Erdbebenkatastrophe Mitgefühl zeigen – mit dieser Pose ist es den Massenmedien gelungen, das Interesse der Öffentlichkeit von den Verursachern der dieses Mal menschengemachten Katastrophe, den Unternehmen, der Bürokratie, den Politikern, den lokalen öffentlichen Körperschaften und den technischen Sachverständigen abzulenken. Das rührselige Mitgefühl mit den Opfern  wird  durch eine – beinahe anmaßend zu nennende – Politik der Verdummung der Masse gestützt, mit der man das System der Verfilzung von Oligopolen und der Regierung erhalten will. Was hier aufscheint, ist die typische Ausprägung einer „Gemeinschaft des Mitgefühls“. Auch wenn man einander tröstet und bemitleidet, werden weder die Bedingungen geklärt, die das Unglück verursachten, noch diejenigen ausfindig gemacht, verhört und bestraft, die die Ursachen des Unglücks hervorgebracht und ihre Gefährlichkeit vertuscht haben. Was diese „Sache  verschlimmert“  ist, dass die nationale Gemeinschaftkeineswegs durch den Geist der Harmonie aufrechterhalten – nun ganz unerwartet eine „Wirklichkeit“ zeigt, die Ort des Widerstreites und der Gegensätze ist. Statt, um künftige Sicherheit und Hoffnungen zu gewähren, auf die Fehltritte in der Vergangenheit zurückzublicken sowie die notwendige Ergründung der Ursachen und die Bestrafung der Verantwortlichen voranzutreiben, hat es den Anschein, als ob die Menschen in einer Sympathie-Gemeinschaft ganz und gar dem Bewahren eines Gefühls des Trostes unter „guten Freunden“  den Vorrang geben.

Einerseits gibt es im Zusammenhang mit der gewaltigen Zahl der Erdbebenopfer ein Suchprogramm, andererseits wurden (soweit ich weiß, wenigstens bis zum jetzigen April) die Namen der im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi verstrahlten Arbeiter vor Ort  und die ihrer Arbeitgeber nicht veröffentlicht. Doch nicht nur das. Folgende, den Kern des diesmaligen Unglücks betreffende Informationen waren in den japanischen Medien kaum zu finden: Mit welchen  Subunternehmen hat Tepco Atomkraftwerke betrieben und verwaltet? Zu welchem Grad verfügten die Subunternehmen über das technische Know-how und wer hat sie wo technisch geleitet? Darüber hinaus: Auf der Grundlage welcher politischen und rechtlichen Prämissen hat Tepco seine Atomkraftwerke betrieben und verwaltet? Die Journalisten sollten jetzt ihre Arbeit tun, also der Verwaltung, den Unternehmen und den akademischen Kreisen zusetzen und das ans Tageslicht bringen, was diese jetzt verbergen wollen. Die New York Times, eine Zeitung, die bei aller Höflichkeit nicht als innovativ bezeichnet werden kann,  kommt ihrem journalistischen Auftrag bei weitem besser nach und lieferte auch über das jetzige AKW Fukushima Daiichi wertvolle Informationen, von denen in den großen japanischen Zeitungen kaum etwas zu lesen stand (2).

Die Verantwortungslosigkeit der japanischen Medien hat jedoch nicht erst mit der Erdbebenkatastrophe in Ostjapan angefangen. Bereits 1989, als man sich anlässlich des  Todes von Tennō Hirohito allerorten Selbstbeschränkung auferlegte (jishuku būmu), zeigte sich diese übermäßig willfährige Tendenz. Selbstbeschränkung ist einerseits eine Form der Höflichkeit, mit der man sich kollektiv des Mitgefühls mit den Opfern und der Trauer um die Toten versichert. Andererseits ist sie ein amorpher Zensurapparat, der Äußerungen und Verhaltensformen unterdrückt, die das Gefühl kollektiven Trosts stören könnten. Selbstbeschränkung breitete sich schlagartig in der Berichterstattung nach dem 11. März aus, was so weit ging, dass sogar Stimmen ertönten, sich aus der Sicht der Konjunkturmaßnahmen mit der Selbstbeschränkung doch etwas zurückzuhalten. Übermäßige Vorsicht der Medien gegenüber troststörenden Äußerungen und Verhaltensformen kam z.B. auch in Meldungen zu den japanisch-amerikanischen Beziehungen nach dem Krieg zum Vorschein. Darüber, dass Kishi Nobusuke und Satō Eisaku in den 1950er Jahren beim CIA (Central Intelligence Agency) (3) dringend um Geld gebeten hatten, ist schon detailliert berichtet worden (4). Dass Kishi und Satō als Agenten des CIA tätig waren, ist eine Tatsache, die möglichst viele Menschen zur Kenntnis nehmen sollten, um die wichtige Rolle, die die beiden Brüder und Premierminister in der Nachkriegsgeschichte gespielt haben, ebenso zu verstehen, wie die Position, in der Japan sich in der Nachkriegswelt befand. Hier sollten Journalisten vorangehen und den japanischen Lesern darüber berichten. Dennoch gab es damals keine einzige japanische Zeitung, die einen Artikel über diese historischen Tatsachen gebracht hat.

Auch im Fall der Notizen, die der junge Edwin Reischauer, später amerikanischer Botschafter in Japan, im Jahr 1942 an das amerikanische Kriegsministerium (War Department) geschrieben hatte, und  die im Jahr 2000 durch Takashi Fujitani entdeckt worden waren, fand sich kein Medium, das die wenigen Seiten ins Japanische übersetzt und veröffentlicht hat, weshalb ich sie dann neun Jahre später schließlich ans Ende meines Buches gesetzt und publiziert habe (5).

Zwar sind diese Notizen nicht direkt Grundlage der Japanpolitik der Vereinigten Staaten geworden, doch waren in ihnen schon 1942 die japanisch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit klar konzipiert, und bis  in die Gegenwart hinein sind die Beziehungen beider Länder nicht über die in diesen Notizen skizzierte Vasallen-Beziehung hinausgegangen. Ebenso erklären sie exzellent, warum das Tennō-System für die Vereinigten Staaten so wertvoll war.

Zudem kam vor zwei Jahren ein anderer Skandal an die Oberfläche. Als im Jahr 2001 hinter verschlossenen Türen der nächste Parteichef der LDP gewählt wurde, passierte es,  dass Asō  Tarō behauptete, dass der als Kandidat aufgestellte Nonaka Hiromu für das Amt des Premierministers unqualifiziert sei, da dieser von der (Anm. d. Übers.: diskriminierten Gesellschaftsschicht der) Buraku abstamme. Unter den führenden Persönlichkeiten der LDP  keineswegs ein Geheimnis, wurde Asōs Äußerung dann unter die LDP-Mitglieder mit Buraku-Abstammung, getragen. Bald war sie in der politischen Welt eine weithin bekannte Tatsache. Dennoch gab es keinen einzigen Journalisten, der die diskriminierende Äußerung eines dann sogar Premierminister gewordenen einflussreichen Politikers entlarvte. Bis zu einem Artikel des Journalisten Ōnishi Norimitsu in der New York Times im Januar des Jahres 2009 wurde in den japanischen Zeitungen nicht darüber berichtet. Fünf Monate nach dem Erscheinen des Artikels von Ōnishi wurde das gemeinsam von Nonaka Hiromu – dem Betroffenen – und Shin Sugo verfasste Buch Sabetsu to Nihonjin [Diskriminierung und die Japaner] herausgegeben und mit Nonakas eigenen Worten die Vertrauenswürdigkeit des Artikels aus der New York Times bestätigt (6).

Der obige Sachverhalt ist zwar extremes Beispiel, auf das ich eher zufällig gestoßen bin (weshalb Artikel aus der New York Times, die ich täglich lese, so zahlreich sind). Doch wird nicht schon damit jene Situation pointiert beschrieben, die ich als das „System der Verantwortungslosigkeit“ fasse? Werden dessen Konturen hier nicht im Großen und Ganzen sichtbar? Daher spüre ich nolens volens, dass die japanischen Medien ihrer Pflicht nicht nachkommen.

Sicher ist es vielleicht zu viel verlangt, wenn man hofft, dass japanische Journalisten wie ihre ausländischen Kollegen, die Japan verlassen können, die dunklen Teile der japanischen Gesellschaft entlarven. Außerdem existieren wohl in der Berichterstattung eines jeden Landes spezifische Tabus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber, da sich zwischen den ausländischen und den japanischen Berichten über das Atomkraftwerksunglück eine derartige Kluft aufgetan hat, ist es schlicht unmöglich, diese einzig mit den eingefahrenen schlechten Gewohnheiten  in der Zeitungs- und TV-Geschäftswelt zu erklären. Allerdings habe ich weder Zeit noch die Fähigkeit, jene Tendenz des japanischen Journalismus zu analysieren, die wohl auch als Veranlagung zur Selbstbeschränkung bezeichnet werden muss. Ich möchte nun der Frage nachgehen, was Intellektuelle inmitten dieses „Systems der Verantwortungslosigkeit“ tun können, wie sie sich am besten verbünden können.

 

Beginnen möchte ich damit, indem ich eine Abhandlung von Genda Yūji aus der Yomiuri shinbun vom 21.3. heranziehe (7). Natürlich handelt es sich um eine Erörterung, die für die landesweiten Zeitungen geschrieben wurde, man kann von dem kurzen Aufsatz keine Details zur Wirtschaftspolitik erwarten. Mehr als der konstatierte Inhalt zog das performative Moment der Erörterung Gendas meine Aufmerksamkeit auf sich.

Indem Genda Verantwortungsgefühle der Überlebenden gegenüber den bei dieser Erbebenkatastrophe „Gestorbenen“ zum Rahmen seiner Ausführung machte, rief er dazu auf, die „kleinen Differenzen aufzugeben und sich zusammenzuschließen“, eine große politische Koalition zu errichten und eine Erhöhung der Konsumsteuer zu verwirklichen. Als ein Intellektueller rief er das Krisenbewusstsein des Volkes an, um jene öffentliche Meinung zu bündeln, die eine Erhöhung der Konsumsteuer unterstützt. Er bedient sich dafür einer Rhetorik, die eine nationale Mission für die Toten beschwört. „Die Gesellschaft kann eins werden.“ Dann endet er mit der Behauptung: „Es bleibt nicht viel Zeit. Das zu verwirklichen, daran hängt Japans Hoffnung.“

Selten trifft ein Unglück alle Menschen gleichermaßen. Meist ist es so, dass winziger Unterschiede in der jeweiligen Situation und Umgebung wegen die Menschen aufgeteilt werden: in die Geretteten und die von der Katastrophe Heimgesuchten oder gar Getöteten. Nicht selten haben die, die gerade so mit dem Leben davon gekommen sind, gerade weil sie knapp überlebt haben oder knapp der Katastrophe entkommen sind, Schuldgefühle. Zugespitzt gedacht, ist die Aufteilung in Opfer und Überlebende zufällig, der Mensch muss sich der absoluten Absurdität, die dem Leben innewohnt, stellen. Menschen kommen mit dem Leben davon, Menschen sterben. Genau bedacht, lässt sich nicht begründen, warum jener ums Leben kommt, ich aber überleben muss. Menschen leben und sterben ohne Grund. Krieg und Unglück zwingen uns, dieser Kontingenz von Leben und Tod ins Gesicht zu sehen. Sie hinterlassen in den Menschen Traumata in Form eines „Schuldgefühls der Überlebenden“. In Japan war es in der Zeit des Asiatisch-Pazifischen Krieges und unmittelbar danach,  dass viele Menschen gleichzeitig mit dem Gefühl der Absurdität des Lebens konfrontiert wurden. Daher ist es durchaus verständlich, wenn man ein Unglück vom Ausmaß der Erdbebenkatastrophe in Ostjapan unwillkürlich mit der Erinnerung an den totalen Krieg gedanklich zusammenbringt. Auch beabsichtige ich nicht, es als hergeholte Idee zu verurteilen, dass die Sphäre des „Wir“ bis hin zur nationalen Gemeinschaft ausgedehnt wird und man ein „Schuldgefühl der Überlebenden“ in der Dimension des Nationalstaates zu inszenieren gedenkt.

Wie dennoch auch Genda hervorhebt, war diese Erdbebenkatastrophe eine Chance, erneut einen Eindruck zu bekommen, welch unerschöpfliche Fähigkeit den Menschen eigen ist, Gemeinschaften zu schaffen. Es scheint, dass die Menschen ihre Kreativität entfalten, um zu helfen – nicht nur den Menschen aus derselben Herkunftsgegend, sondern auch ganz unbekannten Leuten. Viele wollen über Klassen, Regionen und Landesgrenzen hinweg anderen Menschen helfen. Ohne die der Freiwilligen-Bewegung inhärenten Probleme beiseite zu schieben, ist es gerade wegen dieses Engagements, dass ich die Hoffnung auf die Soziabilität der Masse nicht verliere. Anders als in den armen Regionen Afrikas und Asiens habe ich kaum den Eindruck, dass die unter der Katastrophe leidenden Menschen ignoriert und aufgegeben werden. Das kann man sicher damit erklären, dass Japan zur sogenannten ersten Welt gezählt wird und eine typische, in internationale Informationsnetzwerke eingebettete Informationsgesellschaft ist. Mithin ist es nicht verwunderlich, dass Intellektuelle auftauchen,  die von der Idee besessen sind, die Katastrophe könne zum Sprungbrett werden, um aus der Not eine Tugend zu machen, um – mit dem Volk als einem Ganzen – im existierenden politischen System scheinbar unmögliche Taten zu vollbringen. Doch hinterließen Genda Yūjis Vorschläge beim Lesen in mir ein Gefühl des Unbehagens. Ein Gefühl, als bliebe mir etwas im Halse stecken, das ich nicht ohne weiteres schlucken konnte. Dieses Gefühl kann ich am besten mit zwei Episoden beschreiben, die mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Die eine evoziert eine Szenerie, die für nur einen Moment erscheint und sofort wieder verschwindet. Die andere Episode steht im Zusammenhang mit dem Drama eines kürzlich zurückgetretenen Ministers.

Die erste Episode steht in Verbindung mit den Eröffnungsbildern von Letters from Iwojima[1], bei dem Clint Eastwood Regie geführt hat. Zunächst zeigt sich auf der Leinwand eine Szenerie, die wie der dunkle Abendhimmel anmutet. Mit der Zunahme des Elevationswinkels der Kamera stellt sich diese jedoch als tiefschwarzer Sand von Iōjima heraus. Nachdem die weißen Wellen, die in der Tiefe dieses Sandes brechen, ins Bild rücken, überblickt man die riesigen Weiten des Pazifiks. Einen Augenblick später wird das „Ehrendenkmal für die Gefallen von Iōjima“ gezeigt, mit dem Pazifik im Hintergrund. Der Stein wurde für das Gedenken der Toten und deren Lobpreisung errichtet. Man kann wohl sagen, dass sich das Thema des gesamten Filmes Letters from Iwojima in diesem kurzen Bild verdichtet. Die Inschrift auf dem Gedenkstein, der auf der – damals von den Vereinigten Staaten verwalteten Insel errichtet wurde, setzte man nicht mit dem Alphabet, sondern mit (Anm.d.Übers.: den in Japan verwendeten) chinesischen Schriftzeichen um. Die in den Stein geprägten Schriftzeichen scheinen aus der tiefschwarzen Oberfläche zu entschweben. Unter den neun Schriftzeichen für „Ehrendenkmal für die Gefallenen von Iōjima“ sind vier weitere Schriftzeichen zu sehen: „Geschrieben von Kishi Nobusuke“. Der Gedenkstein lobpreist nicht nur die Gefallenen, er wurde demnach auch dafür errichtet, die Handschrift eines Überlebenden zu bewahren. Der vier Schriftzeichen gewahr werdend, befiel mich unwillkürlich ein – so kann man wohl ohne weiteres sagen – an Übelkeit grenzendes Gefühl.

Natürlich handelt es sich bei „Kishi Nobusuke“ um jenen namhaften Beamten-Politiker. Er war der Schwiegervater von Abe Shintarō, ehemals Vorsitzender der LDP und Außenminister, und der Großvater von Abe Shinzō, von 2006 bis 2007 LDP-Chef und Premierminister. Er war einer der obersten Führer der damaligen japanischen Regierung, der als Reformbürokrat vor dem Krieg die Errichtung (Anm.d.Übers.: des japanischen Marionettenstaates) Manzhouguo (Anm.d.Übers.: jap. Manshūkoku) leitete, im Kabinett von Tōjō Hideki Minister für Handel und Industrie war und die Großostasiatische Wohlstandssphäre konzipierte und leitete. Natürlich wurde er nach dem Krieg als Kriegsverbrecher der Klasse A verhaftet und verbrachte drei Jahre im Sugamo-Gefängnis. Dank des „Gegenkurses“, den die amerikanische Politik einschlug, wurde Kishi entlassen und trug nun als Filialorgan der Vereinigten Staaten in Japan die antikommunistische Propaganda und die antikommunistische Politik in Ostasien mit. Dank dessen wurde er zur Hauptfigur  im 1955er-System, war Außenminister und dann der 56. und 57. Premierminister (1957-1960). Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass Kishi Nobusuke, der über genaue Kenntnisse der Regierungspolitik hinsichtlich einer Großostasiatischen Wohlstandssphäre verfügte, für die amerikanische Herrschaft in Ostasien nach dem Krieg unersetzbar war. Wie oben erwähnt, zeigte er mit seinem leiblichen jüngeren Bruder Satō  Eisaku als Agent der CIA (Central  Intelligence Agency) Geschick, was – auch wenn darüber in Japan kaum berichtet wurde – recht bekannt ist. So wurde Kishi als einer bekannt, der eine Wende vollzog vom  antibritischen und antiamerikanischen Kriegsführer hin zur Vorhut des amerikanischen Imperialismus. Als einen Grund dafür, dass die Bewegung gegen die Ratifizierung des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages im Jahr 1960 einen derartigen Aufschwung zeigte, führen viele Historiker die Abneigung japanischer Bürger gegen Kishi Nobusuke persönlich an.

Weil er aber wohl einer der wenigen raffinierten Politiker war, die im Nachkriegsjapan mächtige persönliche Beziehungen zu der Regierung der Vereinigten Staaten hatten, stellte er eine Ausnahmepersönlichkeit dar, die den Hinterbliebenen der in Iōjima gefallenen japanischen Soldaten Vergünstigungen einräumen konnte. Kishi schien nicht gezögert zu haben, von diesem Sonderrecht Gebrauch zu machen. Er schaffte es, in seinem Namen das Ehrenmal errichten zu lassen und den Anschein zu erwecken, als ob gerade er es persönlich aufgestellt hätte. Dabei ist es wohl nicht übertrieben zu sagen,  dass die japanischen Soldaten auf Iōjima einer Konzeption von Ostasien zum Opfer gefallen sind, die das Tōjō-Kabinett ausgearbeitet hatte. Sie waren demnach Opfer der unheilvollen Politik der Leute um Kishi. Ganz wie die Arbeiter vor Ort, die sich jetzt, während sie im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi verstrahlt werden, um dessen  Reparatur und Erhaltung bemühen. Waren nicht die Kishis die Anstifter, die den japanischen Soldaten auf Iōjima die Befehle gaben, deren Erfüllung sie in den Tod schickte? Dennoch betrauerte Kishi ihren Tod, als sei gerade er es, der ihren letzten Willen  vollenden müsse. Der Hauptschuldige an ihrem Tod lobpreist die Toten. Durch diese Lobpreisung hat er sich den Platz der Menschen unrechtmäßig angeeignet, die  den letzten Willen der Toten ausführen sollten. Unwillkürlich habe ich das Gefühl, dass es ihm glänzend gelungen ist, sich der Namen der Toten zu bemächtigen.

Doch geht es mir nicht allein darum, von der Warte der Kriegsverantwortung Kishi Nobusukes aus zu kritisieren, dass Überlebende die Toten benutzen. Denn meines Erachtens steht – vor allem Opportunismus eines Kishi Nobusuke – die Problematik eines Verhaltens, dass die Überlebenden „den Toten ihren Dank erweisen“ oder die „Toten trösten“. Wir wissen letztlich nicht, ob sich die Gefallenen darüber freuen oder es von sich weisen, dass sie von Kishi Nobusuke ein Ehrenmal errichtet bekommen haben. Denn die Toten können nicht reden. Wir können auch nicht an der Stelle der Toten die Überlebenden kritisieren. Was problematisiert werden muss, sind Handlungen, die – mit den Toten als Ausrede – gegenwärtige Interessen der Überlebenden billigen oder ablehnen. Die Beziehung zwischen den jetzt lebenden Menschen und den Toten wird im Allgemeinen in den Bereich der Religion verortet. Und tatsächlich finden auch in säkularisierten Gesellschaften derartige Beziehungen zu den Toten in der Rhetorik des Nationalismus ihre Fortführung. Es ist hinreichend bekannt, dass nationale Gemeinschaften durch eine solche mythische Kontinuität mit den Toten konstruiert werden, und ebenso oft ist schon erörtert worden, wie viel Elend eine solche Religiosität im säkularisierten Gewand hervorgerufen hat. Was mich beim Lesen von Gendas Vorschlägen verunsichert hat, ist, dass die Gleichgültigkeit gegenüber der Pseudoreligiosität, die dem Nationalismus innewohnt, dass das mythische Konstrukt der nationalen Gemeinschaft als naturgegeben akzeptiert wird.

Man kann nicht mit Bestimmtheit feststellen, ob das auf Iōjima (damals unter der Oberaufsicht der USA) errichtete „Ehrendenkmal für die Gefallenen von Iōjima“ nur die japanischen Soldaten ehrt/lobpreist. Der Gedenkstein zelebriert die Soldaten im Allgemeinen, die auf Iōjima gestorben sind. Es ist nicht in Vergessenheit geraten, dass Japaner und Soldaten der USA auf Iōjima ihr Leben verloren haben. Wenn man dann nach der Wahrheit über die „japanischen Gefallenen“ fragt, wird auch sofort klar, dass die ganze Sache nicht so einfach ist. Wenn hingegen Genda fragt, ob „wohl schließlich alle Menschen, die in Japan leben, ihre Pflicht erfüllt haben werden“, so ist da m.E. die Pseudoreligiosität der nationalen Gemeinschaft nicht ausreichend in Betracht gezogen worden. Nicht einmal ein Nachdenken über die Grenzen der nationalen Gemeinschaft etwa auf der Ebene des „Ehrendenkmals für die Gefallenen von Iōjima“ ist da spürbar. Es ist ja bekannt, dass unter den japanischen Kriegsgefallenen zumindest hunderte Soldaten  mit Abstammung von der koreanischen Halbinsel und anderen Territorien des japanischen Kaiserreiches waren. Zwar Staatsbürger zweiter Klasse, so waren sie doch Japaner. Vor der Auflösung des japanischen Kaiserreiches waren sie Japaner. Das heißt, dass die Kategorie Japaner historisch fließend ist. Wie viele japanische Soldaten, die heute im Yasukuni-Schrein verehrt werden, hörte eine große Zahl ihrer Hinterbliebenen nach 1945 auf, Japaner zu sein. Die nationale Gemeinschaft verfügt über keine historisch ewig währende Substanz. Es ist eben der Glaube an einen solchen ewigen Fortbestand, der die Pseudoreligiosität des Nationalismus hervorbringt.

An dieser Stelle muss ich zur zweiten Episode kommen. Diese betrifft das Drama um den Rücktritt des Außenministers Maehara Seiji. Der Außenminister Maehara wurde wegen der Enthüllung der Tatsache, dass er politische Geldspenden von jährlich weniger als 50.000 Yen von einem „Ausländer“ angenommen hatte, zur Amtsniederlegung gezwungen. Laut Zeitungsberichten waren die Geldspenden von einem Freund, mit dem ihn eine lange Bekanntschaft verbindet und der einen Laden für gebratenes Fleisch (yakiniku) betreibt. Formal mag es schwer sein, ihn zu verteidigen, weil man bei der Anwendung von Gesetzen eine wortwörtliche Auslegung des Gesetzestextes nicht umgehen kann. Geldspenden von jemandem anzunehmen, der lange im eigenen Wahlbezirk gelebt hat, oder auch auf den Nutzen eines solchen Freundes im eigenen Einflussbereich bedacht zu sein, ist in meinen Augen allerdings nichts, wofür man sich als Politiker schämen sollte. Ich hielt eher für seltsam, dass man in den japanischen Massenmedien nahezu keine Debatten darüber zu Ohren bekam, ob die wortwörtliche Anwendung derartiger Gesetze nicht rassistisch ist, ob man derartige rassistische Gesetze nicht ändern sollte. Das erinnert mich daran, dass anlässlich der Äußerung von Ishihara Shintarō, Tōkyōs Gouverneur, über Ausländer als „Menschen aus einem Drittstaat“ keinerlei Kritik zu vernehmen war, dies sei rassistisch. Die japanischen Medien haben auch damals Selbstbeschränkung geübt (Anm. d. Übers.: d.h. sich der Angelegenheit freiwillig enthalten). Ich betrachte das Schweigen zu einer solchen alltäglichen Diskriminierung als Ausdruck geistigen Niedergangs.

Gendas Vorschläge beginnen mit der Frage „Wird es dazu kommen, dass alle Menschen, die in Japan leben, ihrer Verantwortung nachgekommen sind?“ Zählt z.B.  Maeharas – in Kyōto ansässiger – Freund mit seinem yakiniku-Laden  nicht zu „allen Menschen, die in Japan leben“? Wo liegen wohl die Gründe dafür, dass man es zur Pflicht der „Nation“ machen muss, „den Toten Dank zu bezeugen“? Seine Vorschläge beruhen auf der typischen Rhetorik von den „vaterländischen Patrioten“, ein derart begrenztes Selbstbild macht den Nationalismus direkt zu einem legitimierenden Fundament. Entschlossen an die Pseudoreligiosität des Nationalismus zu appellieren, um zur Einführung der Konsumsteuer ein politisches System zu schaffen, bei dem die ganze Nation wie ein Mann handelt – begibt man sich damit nicht in den Strom eines in gewaltsamer Form bereits existierenden Rassismus? Bedeutet das Zusammenschweißen der Nation nicht gleichzeitig den Ausschluss der Ausländer? Es darf nicht vergessen werden, dass bei der Kantō-Erdbebenkatastrophe von 1923, deren Schäden von der Zahl der Toten her größer waren als bei der Ostjapan-Erdbebenkatastrophe, tausende als „Ausländer“ betrachtete Landsleute zweiter Klasse erschlagen worden waren.

 

Die Aufgabe der Intellektuellen ist es heute nicht, der Seelen der Toten zu gedenken, um so an der Bildung eines nationalen Einheitskabinetts mitzuwirken oder den Zusammenschluss des Volkes zu befördern. Vielmehr gilt es, immer wieder folgenden Fragen nachzugehen: die systemischen Bedingungen ans Licht bringen, die solche schrecklichen Ereignisse hervorgebracht haben; wer in welcher Phase was von sich gegeben und welche Entscheidungen getroffen hat; auf welchen Argumenten solche Äußerungen basieren und ob diese Argumente zutreffend sind. Natürlich muss man im Verlauf  solcher Untersuchungen mit starken Widerständen u.a. von den involvierten Unternehmen, der Bürokratie und den beteiligten Ingenieuren rechnen, weil mit ihnen eine Identifizierung der Verantwortlichen einhergeht. Gleichzeitig müssen wir den Mut und die Kenntnisse der Leute (einschließlich interner Informanten), der Ingenieure und Wissenschaftler anerkennen, die die Gefahren vorausgesagt und Warnungen ausgesprochen haben. Die Institutionen müssen dahingehend verändert werden, dass sie in der künftigen Energieverwaltung  und -industrie eine größere Rolle spielen. Dazu muss das gegenwärtige „System der Verantwortungslosigkeit“ analysiert und zwischen denjenigen unterschieden werden, die Fehler begangen haben und die Fehler korrigieren wollten. Sie sind möglichst unparteiisch zur Verantwortung zu ziehen. An einem prinzipienlosen Preisen von Zusammenhalt besteht kein Bedarf. Wenn es notwendig ist, müssen wir die Japaner eben voneinander scheiden.

Wie weithin bekannt ist, handelt es sich bei dem „System der Verantwortungslosigkeit“ um einen Ausdruck, den Maruyama Masao eingeführt hat, um das Tennō-System und die Führungsschicht Japans bis zur Kriegsniederlage im Jahr 1945 zu analysieren. Es geht mir hier nicht darum  zu erörtern, inwiefern seine Analyse zutrifft. Doch kann man wohl sagen, dass das „System der Verantwortungslosigkeit“ mit dem Jahr 1945 keineswegs zu Ende gegangen ist. Die Debatte über dieses System als solche wurde zu einer Ouvertüre, die den Beginn eines weiteren „Systems der Verantwortungslosigkeit“ verkündete. Die nationale Gemeinschaft im Nachkriegsjapan vermochte es nicht, auch nur einen einzigen Kriegsverbrecher bezüglich seiner Verantwortung für Krieg und Kolonialherrschaft herausgreifen, zur Rechenschaft ziehen und zu richten. Die nationale Gemeinschaft der Nachkriegszeit legte zu großen Wert auf die Harmonie des „freundlichen Miteinanders“ und erlangte schließlich nicht die Fähigkeit, die Verantwortlichen für koloniale Gewalt Gräueltaten im Krieg zu ergreifen und zu bestrafen. Die Nachkriegsgesellschaft begann mit der Irreführung über die Verantwortlichen. Um nicht erneut ein „System der Verantwortungslosigkeit“ hervorzubringen, muss wohl nach einer anderen  Gemeinschaftlichkeit  als der des Nationalcharakters gesucht werden.

Ich wiederhole: Um nicht ein drittes Mal ein „System der Verantwortungslosigkeit“ hervorzubringen, muss nach einer anderen Gemeinschaftlichkeit als der des Nationalcharakters (d.h. des nationalen Wesens (kokutai)) gesucht werden. Wir müssen  uns des „Systems der Verantwortungslosigkeit“ als eines Begriffsapparats bedienen, der statt das nationale Wesen zu verteidigen und es zu rekonstruieren, nach einer von ihm verschiedenen Gemeinschaft sucht (8).

 

Anmerkungen

 

(1) Der Bürgergruppe Multitudes geht es darum, die Aufsicht über das Atomkraftwerk  Fukushima Daiichi der Firma Tepco zu entziehen und sie Weltbürgern  zu übertragen. Den entsprechenden Aufruf kann man auf der folgenden Homepage nachlesen:  http://multitudes.samizdat.net .

(2) Als ein Beispiel hierfür kann man wohl den Artikel Japan Extended Reactor`s Life, Despite Warning (by Hiroko Tabuchi, Norimitsu Onishi and Ken Belson)  aus The New York Times (21.März) anführen.

(3) „Central Intelligence Agency“ wird in den japanischen Zeitungen gewöhnlich mit „Zentrale Informationsbehörde“ (chūō  jōhōkyoku) übersetzt. Allerdings beinhaltet das Wort „intelligence“ deutlich Spionageaktivitäten und das Sammeln von Informationen über einen Feind, und die US-Bürger wissen sehr wohl, dass es in der Bundesregierung der Vereinigten Staaten mit geheimdienstlichen Tätigkeiten betraute Posten gibt. Den Grund dafür, warum man weiterhin nicht den Begriff „Zentrale Geheimdienstbehörde“ (chūō chōhōkyoku), sondern „Zentrale Informationsbehörde“ (chūō jōhōkyoku) verwendet, verstehe ich nicht. Wahrscheinlich stellt der Rückgriff auf eine solche Übersetzung in den japanischen Zeitungen ein Űberbleibsel aus der Zensurpolitik in der Besatzungszeit dar, was sicher mit der systemopportunen Art und Weise der japanischen Massenmedien zu tun hat. 

(4) Schon vor zweiundzwanzig Jahren ist diese Tatsache auf insgesamt zwei Seiten in The New York Times (11. Oktober 1989) veröffentlicht worden. 

(5) Takashi Fujitani berichtet in dem Artikel Raishawā moto Beikoku taishi no kairai tennōsei kōsō  [Die Konzeption eines Marionetten-Tennō-Systems von Reischauer, dem ehemaligen amerikanischen Botschafter] in der Sekai (Ausgabe vom März 2000) erstmals über die Existenz des Memorandums. Die Übersetzung als solche von Edwin O. Reischauers Memorandum on the Policy toward Japan wurde am Ende meiner Publikation Kibō to kenpō  [Hoffnung und die Verfassung; Verlag  Ibunsha; 2009] abgedruckt.

(6) In The New York Times erschien Japan`s outcasts still wait for acceptance am 16.1.2009. Sabetsu to Nihonjin [Diskriminierung und die Japaner] wurde vom Verlag Kadokawa gurūpu paburishingu herausgegeben.

(7) Dieser Text stellt eine Korrektur und Weiterentwicklung des Manuskripts dar, das ich  im mehrsprachigen Konversationsforum Meridian 180 als Entgegnung auf Gendas Vorschläge  geschrieben habe.

(8) Der Nationalcharakter entspricht dem nationalen Wesen (kokutai). Das englische Wort nationality beschreibt die charakteristische Gegebenheit einer nationalen Gemeinschaft oder einer  Volksgemeinschaft (also den grundsätzlichen Rahmen der Beziehungen zwischen der Welt und dem Selbst, das Menschen als gegebenes Schicksal annehmen). Dieses nationality hat Fukuzawa Yukichi mit „nationales Wesen“ (kokutai) übersetzt. Dieses Wort trifft nicht nur die Übersetzung von nationality hervorragend, sondern ist auch als Erklärung des Diskurses vom nationalen Wesen geeignet. Der Ausdruck wurde später einer Mythologisierung unterzogen, man kann aber sagen, dass Fukuzawa Yukichis Begriff allgemeine Aspekte einer Nations- und Volksgemeinschaft sehr gut zum Ausdruck bringt.

 

Aus: Gendai shisō, Heft 5/2011, S.26-33

Übersetzt von Theresia Berenike Peucker (Leipzig)

 



[1] Anm. d. Übers.: Der kursiv gedruckte Filmtitel greift auf eine im (amerikanisch-) englischsprachigen Raum herangezogene Transkriptionsvariante der chinesischen Schriftzeichen für die japanischsprachige Bezeichnung der betreffenden Inselgruppe zurück.

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