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Der Text von Yoshimi Shun'ya vom Juni 2011 fasst noch einmal die wichtigsten Punkte der Nachkriegsgeschichte des AKW Fukushima und seiner Zeitgeschichte zusammen.

Yoshimi Shun'ya, 2011. Vorwort zu Sengo Nihon to Banpaku [Weltausstellungen und Nachkriegsjapan]. Tokyo: Kôdansha, S. 3-23.



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Vorwort

Noch ein Jahr 1970 – Radioaktiver Regen und amerikanischer Schirm

 

Das Ende der „reichen Nachkriegszeit“

Durch das Erdbeben vom 3. März 2011 und mit der Ausweitung des AKW-Unfalls ist das Ende unserer „reichen Nachkriegszeit“ nunmehr besiegelt. Gewiss, Symptome dafür waren schon seit den 1990er Jahren sichtbar. Der Zusammenbruch der Bubble-Wirtschaft und das Ende der Alleinregierung der Liberaldemokratischen Partei sowie die 1995 unmittelbar aufeinander folgenden Ereignisse des Kōbe-Awaji-Erdbebens und des Anschlags der Aum-Sekte ließen uns das Ende des „reichen Nachkriegs“ ganz real erfahren.

Auch damals kam der Ausbruch des Erdbebens überraschend. Vor sechzehn Jahren, am 17. Januar 1995, richtete das Erdbeben, dessen Epizentrum auf der Nordseite der Insel Awaji lag, in der gesamten Hanshin-Region um die Stadt Kōbe verheerende Schäden an. In weiten Teilen der Region betrug die Stärke des Erdbebens Sechs auf der Skala, in einem Teil der Region jedoch Sieben. Die Zahl der Toten und Vermissten belief sich auf 6.434, es gab 43.791 Verletzte, über 300.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, mehr als 250.000 Häuser waren teilweise oder ganz zerstört; damit wurde das Beben zur größten Katastrophe seit dem großen Kantō-Erdbeben von 1923. Es funktionierte überhaupt nichts mehr, als hätte man die Lebensader gekappt. Die Hanshin-Autobahn, die größte Verkehrsader, war an Dutzenden Stellen eingestürzt, der Shinkansen in diese Richtung abgeschnitten und die Tunnel der U-Bahn eingefallen. In den Stadtzentren waren viele Gebäude eingestürzt, und die Bilder von der heruntergestürzten Hoch-Autobahn und von in Brand gesetzten Straßenzügen, die tagtäglich über den Bildschirm flimmerten, ließen viele Menschen mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück.

Japan hatte den Schock über das Erdbeben noch nicht überwunden, da ereignete sich am 20. März diesmal im Zentrum Tokyos ein Vorfall, der die Menschen der Inselkette noch tiefer erschüttern sollte: Der Sarin-Anschlag in der U-Bahn, verübt durch Anhänger der Aum-Sekte. In mehreren Wagen der Metro, die durch das Zentrum fuhren, wurde das als chemische Waffe verwendete Nervengas Sarin verströmt, und 12 Menschen, Passagiere sowie Personal starben bei dem Anschlag, 5.510 weitere erlitten zum Teil schweren Verletzungen. Zwei Tage nach dem Anschlag führte die Polizei eine Razzia im Hauptquartier der Sekte im Dorf Kamikuishiki (heute Teil der Stadt Kōfu) in der Präfektur Yamagata durch. Man entdeckte dort Utensilien, die zur Herstellung von Sarin und anderer chemischen Waffen dienten. Durch Geständnisse der verhafteten Vorstandsmitglieder der Sekte kam ans Licht, dass sowohl ein 1994 bereits in Matsumoto verübter Sarin-Anschlag als auch der U-Bahn-Anschlag von der Aum-Sekte als vorsätzliche Verbrechen begangen worden waren. So war die japanische Gesellschaft fast zwei Monate – vom Zeitpunkt der Razzia bis zur Verhaftung des Anführers Asahara Shōkō (richtiger Name: Matsumoto Chizuo) am 16. Mai – in einen sonderbar erregten Zustand versetzt, da diese seltsame Sekte ihr unbegreiflich war.

Es ist symbolisch, dass jede der beiden Erdbebenkatastrophen von 1995 und 2011, die das „Ende der reichen Nachkriegszeit“ besiegelten, mit einer an die heutige Wissenschaft und Technik gebundenen „menschlichen Katastrophe“ einhergegangen sind: Terror durch chemische Waffen und radioaktive Verstrahlung durch Reaktor-Kernschmelzen. In der Tat, immer wenn die Vorstände von TEPCO und die Sicherheitskommission der Atombehörde im Fernsehen auf einer der vielen seit dem 11. März veranstalteten Pressekonferenzen zum Atomunfall zu sehen sind – von dem nicht absehbar ist, dass man ihn in den Griff bekommt–, erinnern sie in ihrer Ausdruckslosigkeit und ihrem Mangel an Realitätssinn an die Fernsehauftritte der Zentrale der Aum-Sekte anlässlich des Terroranschlags vor 16 Jahren. Vor allem das Hauptlager Satian der Aum-Sekte, das damals in den Medien immer wieder gezeigt wurde, und die in Fukushima 1 aneinandergereihten Reaktorgebäude scheinen sich von außen betrachtet zu ähneln. Was diesmal anders ist: einige der Gebäude sind durch die Explosionen bereits irreparabel zerstört. Zumindest in der Wahrnehmung der Menschen scheinen die beiden Ereignisse ähnlich zu sein – ein Eindruck, der mit dem Misstrauen in die heutige Wissenschaft und Technik sowie in die Spezialisten zusammenhängt.

Angesichts der Küstenlandschaft Tōhokus, die mit dem Eintreffen des entsetzlichen Tsunamis in einem einzigen Augenblick in ein Trümmerfeld verwandelt wurde, werden wir immer wieder von dem beklemmenden Gedanken heimgesucht, einfach nichts tun zu können. Mehr als Zwanzigtausend verlorene Seelen, die nicht rechtzeitig fliehen konnten und von der schlammigen Geröllmasse verschlungen worden sind, deren Zahl wir nicht einmal kennen – was können wir Überlebenden angesichts dieser Tatsache denn überhaupt tun? Diese Gedanken verbreiten sich über die ganze Inselkette und werden wohl noch lange eine tiefe Spur in der Gesellschaft hinterlassen. Für dieses Erdbeben bedarf es des Gedenkens. Und es ist notwendig, sich ernsthaft für die Opfer und den Wiederaufbau von Tōhoku einzusetzen. Dennoch sind der Riesen-Tsunami und der Atomunfall nicht ein und dasselbe. Letzterer ist eine „menschengemachte Katastrophe“, ein Ereignis, das aus der Situation resultiert, wie sie im Zuge des Wirtschaftswachstum im Nachkriegsjapan entstanden ist. Mehr, als es des Gedenkens bedarf, diesmal, dass beim Zurückverfolgen der Ursachen man letztlich auf das Nachkriegsjapan als solches stoßen muss. Und die entscheidende Periode, in der sich die Dinge in diese Richtung entfaltet haben, fällt zusammen mit der Zeit der Nachkriegsweltausstellungen, um die es in diesem Buch geht.

 

Die zwei „Atomschirme“ Amerikas

Man kann die Entstehung des AKW Fukushima bis ins Jahr 1960, dem Jahr der Unruhen um den Sicherheitsvertrag zwischen Japan und Amerika, zurückdatieren. Im gleichen Jahr begann die Präfektur Fukushima mit der Anwerbung von Nuklearenergie, und schon ein Jahr später, 1961, fassten die Gemeinde-Vertretungen von Ōguma-machi und Futaba-machi als vorgesehene Standorte des ersten AKW einen entsprechenden Beschluss. Die damalige Präfektur Fukushima, in der es mit der Ansiedlung von hochwachstumsorientierten industriellen Grundlagen nicht voranging und sich die bislang größte Industriebasis, die Jōban-Kohlegruben1, aufgrund der Umstellung der Energiepolitik von Kohle auf Erdöl im Niedergang befand, benötigte statt Wasser- und Heizkraft die Erschließung einer dritten Energiequelle. Günstigerweise lagen bei den Felsklippen entlang der Küste von Ōguma-machi noch die Ruinen eines Luftwaffenstützpunktes der ehemaligen japanischen Armee, der nach Kriegsende 1945 als Salzfeld genutzt wurde. Dieses großflächige Areal wurde, da das Grundstück leicht für den Bau erworben werden konnte, zum geeigneten Platz für die Errichtung eines Atomkraftwerks. Der Ankauf wurde 1964 abgeschlossen, im Jahr der Olympischen Spiele in Tokyo, und 1967 begann der Bau des ersten Meilers, der zur Weltausstellung in Ōsaka 1970 fertiggestellt wurde und schließlich 1971 ans Netz ging. Kurzum, die Zeit der Entscheidung für die Ansiedlung des ersten Atomkraftwerks in Fukushima [Fukushima Dai-ichi= Fukushima Nr. 1], über den Baubeginn bis zu seiner Inbetriebnahme fällt in der Tat zusammen mit der Periode des Hochwirtschaftswachstums der 1960er Jahre.

Auffällig ist, dass nicht nur Fukushima Nr. 1, sondern auch die Inbetriebnahme vieler weiterer Atomkraftwerke, die im Nachkriegsjapan gebaut wurden, sich auf die Zeit der 1960er und 1970er Jahre konzentriert. Nur kurz vor Fukushima Nr. 1, auch im Jahr 1970, gingen die AKW Tsuruga Nr. 1 und Mihama Nr. 1 ans Netz. Beide befinden sich in der Präfektur Fukui, und es folgten 1974 mit dem AKW Takahama ein weiteres in derselben Präfektur, 1975 das AKW Genkai Nr. 1 auf Kyūshū, und 1976 das AKW Hamaoka Nr. 1 in der Präfektur Shizuoka. Bedenkt man, dass es ungefähr zehn Jahre vom Plan, der Anwerbung, dem Bau bis zur Inbetriebnahme braucht, so wurden fast alle AKW in Japan in den 1960ern geplant und angesiedelt, in den 1970er Jahren gebaut und dann in Betrieb genommen. Dem Bau der Meiler mit der Nummer 1 folgten natürlich noch weitere neue Reaktoren, weshalb sich die Errichtung neuer Kraftwerke bis Mitte der 1990er Jahre fortsetzte. Infolgedessen wurde die japanische Atomenergie, die 1971, als Fukushima Nr. 1 ans Netz ging, vier Reaktoren hatte, bis Mitte der 1990er Jahre mit 54 Reaktoren zur weltweit drittgrößten Betreiber nach den USA und Frankreich.

Weshalb eigentlich wurden nun mit einem Mal in den 1960ern so viele Atomkraftwerke geplant und angesiedelt? – Die Antwort lässt sich ungefähr zehn Jahre vor der Ansiedlung dieser AKW bei zwei Ereignissen ausmachen, die zwischen 1953 und 1954 stattfanden. Beide fielen mitten in die Entfaltung der Kernstrategie der USA in der Phase des Kalten Kriegs.

Eins davon sind die 1953 unter der Regierung Eisenhower angekündigten beiden politischen Richtlinien „New Look“ und „Atoms For Peace“. Als die gewaltigen Folgen der Massaker in den beiden Städten Hiroshima und Nagasaki deutlich wurden, war die vorherige Regierung unter Truman – obwohl oder vielleicht gerade weil er den Befehl des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki gegeben hatte – zu der Auffassung gelangt, dass die Atombombe, anders als herkömmliche Waffen, nur ein allerletztes Mittel sein konnte. Hingegen sah die Regierung Eisenhower alle Kernwaffen als in realen Kriegen einsetzbar an und stationierte sie weltweit auf allen Stützpunkten der US-Armee. Die Kontrollgewalt über Kernwaffen, die unter der vorherigen Regierung bei der Atombehörde (Atomic Energy Commission, AEC) gelegen hatte, wurde dem Militär übertragen, die „umfassenden Vergeltungsstrategie“ gegen den Kommunistischen Block vorbereitet, und es wurden Massen an strategischen Kernwaffen auf vorgelagerten Stützpunkten der verbündeten Länder stationiert. Infolgedessen wurden immer mehr in den NATO-Ländern stationiert, schließlich betrug deren Zahl 7000. Auch in Asien rüstete man in Ländern wie Korea, Taiwan und auf den Philippinen auf; auf Okinawa, mit dem zentralen Stützpunkt Kadena, wurden alleine an die 800 Kernwaffen positioniert. So stieg bis zum Ende der Regierung Eisenhower die Zahl der von der US-Armee stationierten Nuklearsprengköpfe auf über 20.000 an.

Eisenhowers „New Look“ war eine Strategie der Abschreckung, die die gesamte in der amerikanischen Machtsphäre liegende Welt mit Atomwaffen ausrüsten ließ. Die Kehrseite dieser Politik bildete „Atoms for Peace“, die eine friedliche Nutzung der Kernenergie global vorantreiben sollte. Bei seiner gleichnamigen Rede 1953 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen versprach Eisenhower, dass die USA mit den anderen Ländern bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie durch gemeinsame Forschung und den Bau von Atomkraftwerken kooperieren wolle.

Diese Pose, die „friedliche Nutzung“ des Atoms zu betonen und deren Nutzen anderen Ländern anbieten zu wollen, führte zu dem Ergebnis, dass das schlechte Image der USA – durch Atombombenabwürfe und Aufrüstung mit Kernwaffen zur militärischen Bedrohung geworden zu sein – gemildert und die Atomeinführung für die einzelnen Länder in der Welt einfacher wurde.

Bereits durch den sowjetischen Wasserstoffbombenversuch im Jahre 1953 waren die USA sich der Schwierigkeit bewusst geworden, die Vormachtstellung durch Druck mit Kernwaffen aufrecht zu erhalten; man bot der Dritten Welt eifrig Atomtechnologie an und versuchte, durch deren gemeinsam Entwicklung für friedliche Zwecke diese Länder ins eigene Lager zu holen. Und weil andererseits auch die Sowjetunion, als Gegenspieler Amerikas, den umliegenden Ländern Atomtechnologie offerierte, wurden jene kleinen Staaten, die zwischen und innerhalb den Machtsphären beider Großmächte lagen, zu „Abnehmern des des Atoms“ beider Länder. So war die anfängliche Einführung von Kerntechnologie für Länder wie Iran, Irak oder Pakistan, die bald zu einem großen Hindernis für die globale Strategie Amerikas werden sollten, vielmehr von den USA selbst vorangetrieben worden.

Anfangs waren es die asiatischen Länder der Dritten Welt, die an den kommunistischen Block angrenzten, welche zum unmittelbaren Gegenstand der Atoms for Peace-Politik geworden waren, und nicht die früheren Achsenmächte wie Japan und Deutschland, die bereits als Verbündete von den USA aufgenommen worden waren. Aber diese Politik übte auf die konservativen Kräfte innerhalb Japans einen starken Anreiz aus, unbedingt an dieser technischen Ausstattung teilhaben zu wollen. Besonders Mitte der 1950er Jahre traten leidenschaftliche Befürworter von Eisenhowers Atomstrategie auf den Plan, so der spätere Premierminister Nakasone Yasuhiro (1918-) und Shōriki Matsutarō (1885-1969), der Firmenchef des Yomiuri Shinbun-Verlags und erster Vorsitzender der [japanischen] Atomenergie-Kommission.

Nakasone behauptet auch nach dem jetzigen Unfall im März noch, dass „die große Mehrheit der Welt die friedliche Nutzung der Atomkraft, ihre Nutzung als Energie nicht ablehnt“, 1953 ließ er verlauten: „Als ich vom Politikwechsel Eisenhowers hin zur friedlichen Nutzung der Kernenergie erfuhr, dachte ich: 'Dem darf auch Japan nicht nachstehen. Das nächste Zeitalter wird das der Atomkraft sein'“ (Asahi Shinbun, 26.4.2011).

Darauf ließ er, in Kooperation mit konservativen Kräften, einen Etat für Atomkraft im Parlament einrichten, gründete eine überparteiliche Atomenergiekommission, und sorgte für ein Atomenergiegesetz, dass zur Grundlage der späteren Kernenergiepolitik wurde. Die Beziehungen zwischen Nakasone und der Atomenergie vertieften sich; einer der Großen in der Politik, der davon beeinflusst worden war, erinnert sich: „'Friedliche Nutzung der Atomkraft': diese Worte von Nakasone gingen mir nicht mehr aus dem Sinn. Hielt ich doch die Atombombe von Nagasaki und Hiroshima für das Schlimmste der Welt. Hab zwar nicht verstanden, was das hieß, aber ich dachte, es ist irre, was der Mann da sagt“ (Asahi Shinbun, 30.5.2011).

Auf der anderen Seite war es Shōriki, der, parallel zu Nakasone, als Repräsentant der Medien eine ebenso große Rolle spielte, indem er sowohl die Tageszeitung Yomiuri Shinbun als auch den Fernsehsender Nihon TV (Japan TV), die unter seiner Schirmherrschaft standen, voll nutzte und Kampagnen zur Verbreitung der friedlichen Nutzung der Atomenergie führte. Wie Ariba Tetsuo in seinem Buch „Atomkraft – Shōriki - CIA“) (Shinchō Shinsho 2008) gezeigt hat, war es ein von der Errichtung eines Mikrowellen-Kommunikationsnetzwerks in Ostasien begeisterter Shōriki, der die Beziehungen zu Spionagediensten wie dem CIA, zur Elektrokonzernen wie GE (General Electric) und RCA (Radio Corporation of America) vertiefte, und genau diese Elektrokonzerne waren zugleich die wichtigsten Träger der Atomindustrie. Shōriki lud eine Delegation für die friedliche Nutzung der Atomkraft aus den USA ein, startete über die Yomiuri Shinbun eine Kampagne zur Förderung der Atomkraft nach der anderen, eröffnete die Ausstellung zur friedlichen Nutzung der Atomenergie, wurde erster Vorsitzender der Atomenergiekommission, die das Banner der Atomkraft in die politische Welt trug, und übernahm zudem die Leitung der Behörde für Wissenschaft und Technik [heute MEXT].

Vom Standpunkt der Regierung Eisenhower aus basierten sowohl „New Look“ als auch „Atoms for Peace“ grundsätzlich auf dem gleichen wirtschaftlichen Prinzip. Aus der Perspektive dieser Regierung war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der kalte Krieg sich lange hinziehen würde; und um die Unterstützung der amerikanischen Gesellschaft für das langfristige militärische Spannungsverhältnis mit dem kommunistischen Block zu gewinnen, bedurfte es eines Drahtseilaktes, die militärische Aufrüstung zu planen, während die Finanzwirtschaft gerade durch die Niedrighaltung der Rüstungsausgaben weiter stabil gehalten werden sollte. Durch den Korea-Krieg war die US-amerikanische Finanzwirtschaft bereits in die roten Zahlen gekommen, und so war es schwierig, herkömmliche Waffen und die Bodentruppen noch weiter zu verstärken. So gesehen waren Kernwaffen im Vergleich mit herkömmlichen Streitkräften deshalb eine relativ preiswerte und faszinierende Technik mit überwältigender Schlagkraft. Aus dem gleichen Grund waren auch die AKW so faszinierend für die Stromkonzerne: verglichen mit Wasserkraftwerken, die für den Bau von Staudämmen enorme Summen an Investitionen im Voraus erfordern, und mit Verbrennungskraftwerken, die von täglich schwankenden Preisen für Erdöl abhängen, galt die Atomkraft als relativ preiswerte Energiequelle.

 

Das Schiff Glücklicher Drache V (Daigo Fukuryū Maru) und die „friedliche Nutzung der Atomkraft“

„Atoms for Peace“ aber implizierte nicht nur die Entwicklung einer wirtschaftlich preiswerten Energie, die zu einem reichen Alltagsleben führt, sondern auch eine spezielle politische Bedeutung: Das Vergessen von Hiroshima und Nagasaki. Einhergehend mit der fortschreitenden friedlichen Nutzung der Atomkraft überall auf der Welt verschwindet auch das Bewusstsein, dass Atomkraft eine zerstörerische Technologie ist, die zum Atomkrieg führt. Besonders der japanischen Gesellschaft gegenüber, in der es durch die zweimalige Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki heftige Emotionen gegen das Atom gab, musste man deutlich machen, dass das Atom keine „Kriegs“- sondern eine „Friedens“-Technologie ist; dafür sollte die Erinnerung an die „radioaktive Verstrahlung“ durch die Schuld der USA in den Hintergrund treten, sodass es für dieses Land immer unbedenklicher wird, seinen Platz unter dem „Atomschirm“ einzunehmen. Shibata Hidetoshi (1917-1996)2, der als rechte Hand von Shōriki Matsutarō eine ausschlaggebende Rolle für die Einführung der Atomkraft nach Japan spielte, sagte, dass es zu Beginn der 1950er Jahre „das Sprichwort gab, Japan sei seit alters her ein Land, wo man Gift mit Gift bekämpfte. Und die Atomkraft war ein zweischneidiges Schwert.“ Für [Shibata] war es das Wichtigste, „um die Anti-Atombomben-Bewegung zu zerschlagen, die friedliche Nutzung der Atomkraft in großem Stil zu verherrlichen und dadurch die Vorstellungen vom Anbruch einer neuen großen Industrierevolution zu erwecken“ (Sano Shin'ichi: Shinkaiden, Bungei Shunjū)). Indem er betonte, dass „Atomkraft“ eine Sache für den „Frieden = Reichtum“ sei, wurde die Erinnerung an die „Atombombe“ verdrängt, und symbolisch vermittelt, dass die Japaner unter dem amerikanischen „Atomschirm“ Platz untergestellt werden können.

Doch gerade zur gleichen Zeit, als Shōriki und Nakasone sowie Dienste wie der CIA sich in diese Richtung bewegten, ereignete sich unerwartet die gewaltige radioaktive Verstrahlung des Schiffs Glücklicher Drache V. Am 1. März 1954 ließ die US-Armee auf dem Bikini-Atoll eine Wasserstoff-Bombe mit der tausendfachen Zerstörungskraft der Atombombe von Hiroshima detonieren, die im Umkreis von hundert Kilometern hochkonzentrierten radioaktiven Niederschlag fallen ließ. Durch dieses „Experiment“ starben viele der Einwohner der Marschall-Inseln an Verstrahlung, und noch lange danach hatte man mit den Folgekrankheiten zu kämpfen. Außerdem wurden selbst außerhalb des Bereiches, den die US-Armee als Gefahrenzone deklariert hatte, hunderte Fischerboote Opfer der radioaktiven Strahlung. Obwohl sie mehr als 150 Kilometer außerhalb des Detonationszentrums der Bombe lag, waren die Strahlungsschäden der Glücklicher Drache V besonders verheerend: das Schiff war mit radioaktivem Fallout [„Todesasche“] überzogen, von den Matrosen, die nur schnell wieder in ihren Hafen Yaizu [in Fukuoka auf Kyūshū] kommen wollten, war einer gestorben, bei dem Strahlenkrankheit diagnostiziert worden war, und alle anderen hatten ebenso mit den Folgeschäden der Strahlung zu kämpfen. Es wurde langsam deutlich, dass es nicht nur die unmittelbare Aussetzung der Strahlung war, sondern dass selbst der überall in Japan gefangene Fischbestand radioaktiv verseucht war; radioaktiver Niederschlag hatte die Strahlung vom Pazifik her durch ungünstige Luftströmungen übers Festland verteilt, was zu einem sehr großen Problem wurde, als in Erdbeeren und Gemüse, Tee und sogar in der Milch erhöhte Radioaktivität festgestellt worden war.

Von der internationalen Gemeinschaft gab es heftige Vorwürfe gegen diese Art von „Experiment“, aber von amerikanischer Seite wurde behauptet, der Ausbruch dieser Krankheiten bei japanischen Patienten sei keine Strahlung, sondern sei durch die „chemische Reaktion [herumfliegender] Korallen“ hervorgerufen worden. Man behauptete zudem einseitig, die Glücklicher Drache V hätte in der von der US-Armee deklarierten Nichtbetretungszone operiert, obwohl längst bewiesen worden war, dass das Schiff sich zum Zeitpunkt der Detonation außerhalb der Gefahrenzone befand. Der Vorsitzende der amerikanischen Atombehörde (AEC), Lewis Strauss, ging sogar soweit zu behaupten, die Bewohner der Marschall-Inseln seien „glücklich und zufrieden“, es sei möglich, dass die Glücklicher Drache V ein „kommunistischer Spion“ sei und der Kapitän „bestimmt für die Russen arbeite“, und so vom CIA Nachforschungen forderte. Der Botschafter der Eisenhower-Regierung bemerkte, „die Japaner sind gegenüber nuklearen Waffen krankhaft überempfindlich“, und ließ dem Präsidenten verlauten, „die Japaner denken, sie seien die auserwählten Opfer“. In der Japanisch-Amerikanischen Konferenz zur Zusammenarbeit, die acht Monate nach dem Wasserstoffbombenexperiment stattfand, behauptete die amerikanische Regierung erneut, dass es keinen Strahlungsunfall gegeben habe, und verwies auf die „neuen Richtlinien“, die als zukünftige Nuklearrichtlinien bis zu tausendmal mehr Sicherheit versprechen sollten. Andererseits verboten die US-amerikanischen Importeure jedoch die Verschiffung von Konserven-Thunfisch, und verlangten präzise Kontrollen mit Geigerzählern.

Mit der Enthüllung der Verstrahlung der Glücklicher Drache V und der Schäden der Fischerei nahm natürlich auch der Widerstand gegen das Wasserstoffbombenexperiment in der gesamten japanischen Gesellschaft zu. Urplötzlich breitete sich eine Bewegung zum Verbot von Atom- und Wasserstoffbomben aus, die von einer Hausfrauengruppe aus dem Stadtteil Suginami in Tokyo ins Leben gerufen worden war, binnen kurzer Zeit ein Drittel der Bevölkerung ergriff, und so mehr als 32 Millionen Bürger versammelte. Die Ausbreitung dieser Bewegung überstieg den Umfang der bereits bestehenden bei Weitem, und auch in einer öffentlichen Umfrage bekam der Widerstand gegen Atomwaffen überwältigende Unterstützung. Die japanische Regierung unterstützte „das Experiment, das von den USA als notwendige Verteidigungsmaßnahme durchgeführt wurde“, aber diese staatliche Meinung zog nur noch mehr Widerstand der öffentlichen Meinung nach sich, und so drang die Anti-Atomstimmung sogar bis in die konservativen Schichten durch.

Schon kurze Zeit später brachten die Ereignisse auf dem Bikini-Atoll ein monumentales Werk der Filmgeschichte hervor. Es ist natürlich die Rede vom Monsterfilm „Godzilla“, denn Godzillas verwandelte Gestalt war eine Metapher für die „Feuerkugel = Wasserstoffbombe“, der die Glücklicher Drache V begegnet war. Über das Bild des vom grotesken Monster zerstörten Tokyo (= Großer Luftangriff auf Tokyo am 10. März 1945) bringt der Film „Godzilla“ das Wasserstoffbombenexperiment der Amerikaner (= zukünftiger Krieg) mit der Erinnerung der Japaner an den Krieg in Verbindung und symbolisiert auf diese Weise die massenhafte Angst der Japaner vor dem Atom. (Takeda Tōru: „Atom“-Diskurs, Chūkō Bunsho, 2002).

 

Die Ausstellung zur friedlichen Nutzung der Kernkraft und „Tetsuwan Atomu (Astro Boy)“

Angesichts dieses starken Angstgefühls vor der Radioaktivität in der japanischen Gesellschaft schien es nicht einfach zu sein, Japan unter den amerikanischen „Atomschirm“ zu stellen. Nur mit den Aussagen des US-Außenministeriums und der japanischen Regierung, der Kalte Krieg und der Antikommunismus hätten höchste Priorität, konnte man dem japanischen Volk, das nach Hiroshima und Nagasaki zum dritten Mal zum Strahlenopfer geworden war, die Furcht vor dem Atom nicht nehmen. Das Image des „reichen Lebens“, das die „friedliche Nutzung“ der Atomkraft versprach , wurde daher als Trumpfkarte gespielt, um diese komplizierte Situation umzukehren. Laut Peter Kuznick [Direktor des Kernforschungsinstituts Washington] hatte der Ausschuss des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten in dieser schwierigen Situation empfohlen, in Japan solle mit der Errichtung eines Forschungsreaktors „eine starke Offensive zur friedlichen Nutzung“ der Atomkraft gestartet werden; Thomas E. Murray von der Atomenergie-Behörde (AEC) behauptete sogar, dass die Errichtung von Atomanlagen in einem Land wie Japan, das den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki erlebt hatte, „eine dramatische und christliche Geste [werden kann], die uns alle weit über die Erinnerung an die Massaker in den beiden Städten hinweg heben kann“. Die Washington Post befand mit großen Beifall, es sei demnach das Beste, „die Bedenken in Asien auszuräumen, dass die USA die Orientalen nur als nukleares Kanonenfutter sähen“ (Peter Kuznick, Japan's Nuclear History in Perspective, Bulletin of the Atomic Scientists, 13. April 2011).

Kurzum, das darin enthaltene strategische Konzept der Atomenergie-Behörde und des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten, sowie die Pläne der japanischen Konservativen, bei denen Shōriki eine zentrale Rolle spielte, kamen genau in dem Punkt überein, dass man der Ansicht war, der Bau von Kernkraftwerken habe den Effekt einer „Befreiung“ von der Erinnerung an die Atombombe.

So entfaltete Shōriki Mitte der 1950er Jahre unter vollem Einsatz der Yomiuri Shinbun die größte Kampagne zur „friedlichen Nutzung der Atomkraft“. Im Mai 1955 lud man eine amerikanische „Delegation zur friedlichen Nutzung der Atomenergie“ ein, der von japanischer Seite die Einrichtung einer „Gesprächsrunde zur friedlichen Nutzung der Kernkraft“ vorausging; damals gab es selbst noch unter den japanische Größen der Finanzwelt „viele Leute, die aus Angst vor Atomwaffen der Auffassung waren, wir würden zu einer amerikanischen Atombombenfabrik, und es hat viel Mühe gekostet, diese Leute zu überreden“, so erinnerte sich später der Verantwortliche der Yomiuri, der mit der Finanzwelt in Verhandlungen stand (Sano, a.a.O.).

Den krönenden Abschluss dieser Kampagnen bildete die Ausstellung zur friedlichen Nutzung der Kernkraft, die vom 1. November bis zum 12. Dezember desselben Jahres in Zusammenarbeit mit dem CIA im Hibiya-Park abgehalten wurde. In dieser Ausstellung „waren Modelle von nuklearbetriebenen Züge oder Passagierflugzeugen ausgestellt, die die 'helle Zukunft' der Atomkraft priesen. Die größte Attraktion war die im März des Vorjahres am Bikini-Atoll verstrahlte Glücklicher Drache V“ (Sano, a.a.O.). Indem er selbst die Glücklicher Drache V, die zum Symbol der Anti-Atomwaffen-Bewegung geworden war, mit auf seine Seite zog, um das Interesse der Massen zu wecken und damit einfach so die amerikanische Ideologie der friedlichen Nutzung der Atomkraft zu verkaufen, war eine für den Veranstalter Shōriki Matsutarō typische Taktik.

Wie ich in meinem Buch „The Politics of Exhibition“ dargelegt habe, war 1955 eine Zeit, in der mittelgroße Ausstellungen florierten, die den Wiederaufbau nach dem Krieg thematisierten. Schon seit Ende der 1940er Jahre öffneten überall, eine nach der anderen, Expositionen zum Wiederaufbau, zum Handel, zur Industrie, als wollte man damit den Wiederaufbau nach dem Krieg in Gang setzen.

Da viele davon, wenn nicht unter deren Schirmherrschaft, dann mit Zeitungsverlagen als Partner veranstaltet wurden, war die Eröffnung einer Ausstellung mit dem Thema „Atomkraft“ für die japanischen Zeitungsverlage kein fremdes Terrain mehr. Zum Beispiel war die von der Asahi Shinbun in Nishinomiya abgehaltene „Amerika-Ausstellung“ von 1950 eine Großausstellung mit über zwei Millionen Besuchern, die den Besuchern wortwörtlich das Gesamtbild „Amerika“ präsentierte: man hatte in der Nähe des Eingangs den Info-Turm in Form des Empire State Buildings und unter anderem die Statue von Abraham Lincoln errichtet, stellte außerdem ein großes 360-Grad-Panorama, ein großes Westpanorama, das Weiße Haus sowie einen Agrar- und einen Religionspavillon aus. Die Ausstellung zur „friedlichen Nutzung der Kernkraft“ war nichts anderes als eine solche „Atomkraft-Spezialausgabe“ von Ausstellungen, die Themen vom „Heiligem Krieg“ bis „Amerika“ behandelten.

Obwohl gleichermaßen Ausstellungen, unterschieden sich diese und die Weltausstellung 1970 in Ōsaka doch massiv. Das betraf nicht so sehr die Größe, sondern war vielmehr ein Unterschied hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklungsstufe. Das heißt, dieser Unterschied bestand zwischen einer Ausstellung, die den Menschen [noch] das Image eines „Traumes“ bot , und einer Ausstellung, welche sie die Verwirklichung dieses „Traumes“ [bereits] unmittelbar erfahren ließ. Tatsächlich war für das Japan bis Anfang der 1960er Jahre der Traum Atomkraft noch keine Realität. Als Shōriki und Nakasone zu Vermittlern des „amerikanischen Atomschirms“ wurden, wurde von der Atomkraft als einem Ideal gesprochen, das es in der Zukunft zu verwirklichen gilt.

Dieser Idealtyp der Nutzung von Atomkraft sollte daher in einer von den real entstandenen Schäden der Wasserstoffbombe sehr verschiedenen Dimension vorgestellt werden Es war dann der im Inneren mit einem Nuklearreaktor versehene und mit Fusionsenergie angetriebene Android „Tetsuwan Atomu (Astro Boy)“3, der von den 1950ern bis in die 1960er Jahre hinein diesen imaginären Idealtyp der Nutzung von Kernenergie verkörperte und die Kinder begeisterte. Die große Schwester von „Atom“, „Uran“, und sein großer Bruder „Kobalt“ wurden beide nach radioaktiven Elementen benannt, und zumindest [junge] Leser und Zuhörer sahen in Astro Boys „Liebe für die Menschheit“ die Möglichkeiten der friedlichen Nutzung der Kernenergie als „Gerechtigkeit“.

 

Die Schließung der Kohlegruben und das „Amerika“ im General Electric-Dorf

In seiner Masterarbeit an der Interfaculty Initiative for Information Studies der Universität Tokyo, „Die Energie der Hochwirtschaftswachstumsphase – eine Gesellschaftsgeschichte des Atomkraft-Dorfes“ (Januar 2011), betrachtet Kainuma Hiroshi anhand detaillierter Feldforschung in der Umgebung des AKW Fukushima von TEPCO den Prozess, wie die regionale Gesellschaft in der Gegend um Fukushima aus eigenem Antrieb vom Bau des Kraftwerkes abhängig wurde. Der Landkreis Futaba, in dem das Kraftwerk liegt, war früher die ärmste Region in der Präfektur Fukushima. Da es nach dem Krieg durch den Niedergang der Salzsiederei in der Seto-Inland-See an Tafelsalz mangelte, begann man an der Ostküste von Fukushima Salz abzubauen, und schuf so eine kleine Einnahmequelle. Außerdem waren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts der größte Industriezweig in dieser Region die Jōban-Kohlegruben. Diese Kohlegruben erstreckten sich bis zum nördlichen Teil der Region Ibaraki, in der Nähe, wo heute das AKW Fukushima Nr. 2 steht, und waren in der Blütezeit, neben Chikuhō auf Kyūshū und Ishikari auf Hokkaidō, eines der drei großen Kohlenabbaugebiete Japans. Während des Kriegs gab es noch einmal eine Welle der Förderungssteigerung, und auch nach Ende des Krieges in der Zeit des Wiederaufbaus setzte sich Druck, die Produktion zu steigern, fort, da Kohle als unerlässliche Energiequelle für die Sicherung des Bedarfs am mangelnden Strom genutzt wurde.

Doch seit Mitte der 1950er Jahre kam es zu einer Kehrtwende. Dadurch, dass leistungsfähigeres Erdöl durch US-amerikanische Ölfonds vermittelt und aus dem Mittleren Osten zu niedrigen Preisen massenhaft importiert wurde, schritt die „Energierevolution“ von Steinkohle zu Erdöl drastisch voran. Binnen kurzem nahm der Kohleverbrauch rasant ab, und das wirtschaftliche Fundament für die Region, das bis dahin von den Jōban-Kohlegruben getragen worden war, brach weg. Die Präfektur Fukushima sah sich mit dem Niedergang ihres größten regionalen Industriezweigs aufs Neue gezwungen, eine starke Industriebasis ausfindig zu machen.

Ein Weg, der damals eingeschlagen wurde, war, entweder mit einem Staudamm (der in Okutadami [in der Präfektur Niigata] angelegt wurde) oder durch ein AKW zur Stromversorgungsbasis für das Gebiet Tokyo zu werden. Auch wenn in erster Linie der tiefer gehende Zusammenhang mit dem Ertrag amerikanischer Ölfonds zum Wandel der Energieversorgung durch die Schließung der Jōban-Kohlegrube geführt hatte, so ist doch dieser Weg, den die dadurch in Bedrängnis geratene Präfektur Fukushima als Konsequenz wählen musste, ironischerweise auch aufgrund von „Amerika“ tief ins Innerste dieser Region eingebettet: die Errichtung eines gewaltigen Staudamms nach dem System der TVA (Tennessee Valley Authority), der Bau eines Kernkraftwerks, das infolge der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ errichtet wurde, und dazu noch der Bau eines Ferienerholungsgebiets (Resorts), das nach dem Modell „Hawaii“ erschlossen wurde4.

Kainuma stellt in seiner Arbeit durch detaillierte qualitative Interviews dar, wie, im Fall des AKW Fukushima Nr. 1, das im ehemaligen Futaba-machi durch Technologietransfer mit General Electric gebaut wurde, die Techniker von GE in der Region aufgenommen wurden. Als das Kraftwerk gebaut wurde, wurde ein sogenanntes „GE-Dorf“ auf dem Baugrundstück des Kraftwerks hochgezogen, und die GE-Techniker wohnten in den vielen dort errichteten freistehenden Häusern mit ihren Familien. Im „Dorf“ wurden eine Schule und eine Kirche, ein Tennisplatz und anderes angelegt, und die Familien der amerikanischen Techniker spazierten herum und verbrachten dort an Wochenenden ihre Zeit. So erzählte ein japanischer Arbeiter, der damals bei GE angestellt war, im Dorf „gab es häufig Parties im amerikanischen Stil, und das vertiefte die freundschaftlichen Beziehungen mit den eingeladenen Arbeitern von TEPCO sowie den Einheimischen aus der Region“. „Ich erinnere mich sehr gut an die Parties zu Weihnachten oder Halloween, weil ich damals kein Fleisch essen konnte, aber unter dem Einfluss der Feiern im GE-Dorf wurde dann doch Fleisch gegessen“, usw. Diese und andere Aussagen gleichen denen der „Heights“, die seit der Besatzungszeit für die Familien des US-Militärs, das in nahe gelegenen Stützpunkten stationiert war, gebaut worden waren. Diese Einrichtungen der „friedlichen Nutzung des Atoms“, erbaut in der abgelegenen Gegend Tōhoku, in der es mit der Schließung der Jōban-Kohlegruben keine Industrie mehr gab, sind, wie auch die von Okinawa, Iwakuni oder Yokosuka,5 eine weitere Institution des japanisch-amerikanischen Bündnisses.

 

Den amerikanischen Schirm im radioaktiven Regen aufspannen

Da diesmal nach Ausbruch des Erdbebens und des Atomunfall im AKW Fukushima die Reaktionen von TEPCO nichts anderes als Ausreden waren, und die japanische Regierung noch zu dem Chaos beisteuerte, war auffallend, wie schnell die Reaktionen der US-Armee und des Kaiserhauses kamen. Dass die US-Armee und der Tennō die Reaktionen auf die Krise anführten, war gerade so, als ob die Geschichte mit einem Schlag wieder in die Besatzungszeit vor 60 Jahren zurückversetzt worden wäre. Präsident Obama hatte unmittelbar nach dem Erdbeben „jedwede nötige Unterstützung“ versprochen, und startete unverzüglich das Hilfseinsatzsystem der US-Armee, das „Freundschaftsoperation“ genannt wurde. Noch im März wurden für Hilfseinsätze für das Erdbeben 19 Kriegsschiffe, 18.000 Soldaten und dazu 140 Flugzeuge der US-Armee bereitgestellt. Diese Größe an US-Truppen hätte es selbst mit dem Aufmarsch der US-Armee in Afghanistan und Irak aufnehmen können.

Dass sich die amerikanische Regierung nach dem Erdbeben unverzüglich für den japanischen Hilfseinsatz in solch großem Maßstab in Bewegung setzte, hatte mit der Situation zu tun, dass sie beim Problem der Verlegung des Luftwaffenstützpunkts Futenmae auf Okinawa weiterhin im völligen Stillstand verharrte; darüber hinaus hatten die groben Beschimpfungen des ehemaligen Leiters der Japan-Abteilung des US-Außenministeriums, Kevin Maher, „die Menschen aus Okinawa sind Meister der Erpressung“ die japanische Seite sehr verletzt.6 Diese angespannte Situation wurde wohl auch mit der Absicht dazu genutzt, durch die groß angelegte Erdbebenhilfsaktion die öffentliche Meinung umschlagen zu lassen und dafür zu gewinnen, dass „eine Stationierung der US-Truppen unbedingt notwendig“ sei. Die USA, die unter keinen Umständen Okinawa aufgeben können, das den wichtigsten Dreh- und Angelpunkt für deren militärische Hegemonie in Ostasien darstellt, positionierten das Beben als „Notsituation für Japan“, die der Zweckmäßigkeit des „japanisch-amerikanischen Bündnisses“ eine umfassende Attraktion geben sollte. Da außerdem das System des Krisenmanagements sowohl der japanischen Regierung als auch von TEPCO brüchiger war, als man sich vorgestellt hatte, und deren Informationen ebenso chaotisch verliefen, zögerten sie nicht, um sich diese lang erwartete Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Wie erwartet, bekundete die amerikanische Regierung daher ihr Misstrauen, ob die administrative Macht zur Krisenbewältigung überhaupt bei den Zuständigen in Japan lag.

Auch das japanische Volk begrüßten daher das im Gegensatz zur dysfunktionalen japanischen Regierung schnelle Handeln der US-Armee und die, im Vergleich zur nutzlosen japanischen „technologischen Leistung“, substantielle militärische Technologie der USA. Wenn man sich eine Reihe von Reaktionen ansieht, dann hegen immer noch viele Japaner ein tiefes Misstrauen sowohl gegenüber der Regierung als auch gegenüber den Spezialisten der eigentlichen „Autoritäts“-Institutionen wie der Universität Tokyo, und viele haben das Gefühl, dass die USA im Vergleich dazu wesentlich zuverlässiger sind.

Was heißt das? Wie bereits erwähnt, war die größte Triebkraft, die nach dem Krieg, angefangen mit Fukushima, überall in Japan in mehr als 50 japanischen Gemeinden den Weg zum Bau von Atomkraftwerken bereitet hat, dieses „Amerika“. Die Besatzung durch die USA endete nicht durch die Friedensverträge von San Francisco. Sie wurde durch die Nachkriegsgeschichte hindurch intensiviert, und drang immer weiter in die tiefsten Schichten unserer Gesellschaft hinein. Die Expo in Ōsaka 1970, mit der die Hochwirtschaftswachstumsphase der 1960er Jahre ihren krönenden Abschluss feierte, war ein Moment, in dem das System dieser Macht einen kritischen Punkt im Reaktorsicherheitsbehälter namens Japan als Nationalstaat = Nachkriegsjapan erreicht hatte. Daher ist es kein Zufall, dass die Elektrizität, die für die Weltausstellung in Ōsaka benutzt wurde, von der durch die Pläne Shōriki Matsutarōs entstandenen japanischen Atomkraft aus dem AKW Tsuruga Nr. 1 gespeist wurde, welches genau zum Auftakt der Weltausstellung in Betrieb ging. Übrigens war GE auch der Hersteller dieses Reaktors Nr. 1, und beim Bau müsste auch ein ähnliches GE-Dorf wie das bereits erwähnte aufgetaucht sein. Mit dem Strom, der aus diesem GE-Reaktor geleitet wurde, war das gesamte Gelände [der Expo], selbst der Festplatz und alle Pavillons, mit unzähligen Lampen in helles Licht getaucht, alle Laufbänder und Roboter waren in Bewegung und hinterließen so den Eindruck des „Fortschritts und Harmonie für die Menschheit“. Ungefähr ein Jahr nach dem Auftakt der Weltausstellung ging das AKW Fukushima Nr. 1 ans Netz, zwei Jahre danach begann der Öl-Schock in den Ländern des Mittleren Ostens, die als Energiequelle dienten, und, um sich aus der Abhängigkeit von unbeständigen Erdölquellen zu befreien, vertiefte Japan immer mehr die Abhängigkeit hin zur Atomenergie.

Wie bereits erwähnt, war diese Verstärkung der Abhängigkeit von der Atomkraft der Auftakt für die Festsetzung einer cleveren Strategie, die ablehnende Haltung der Japaner zum Atom von Grund auf zu ändern und in den Hintergrund zu drängen, dass sie dreimal die Erfahrung gemacht hatten, Strahlenopfer in Hiroshima, Nagasaki und durch die Glücklicher Drache V geworden zu sein.

Ende der 1950er Jahre verlegten die USA viele amerikanische Militärbasen nach Okinawa, um die anti-amerikanischen Ressentiments auf den japanischen Hauptinseln zu beruhigen, und es entfaltete sich so eine doppeldeutige Politik, dass auf der einen Seite die Hauptinsel entmilitarisiert, während auf der anderen Okinawa zu einer Befestigungsanlage wurde. Dadurch verfestigte sich seit den 1960er Jahren auf dem Festland eine proamerikanische Gesinnung, während die ablehnende Haltung gegenüber der Atomenergie immer schwächer wurde. In einer Umfrage, die 1956 vom USIS (United States Information Service) durchgeführt wurde, hatten noch 60 Prozent der Bevölkerung das Gefühl, die Atomkraft sei ein Fluch für die Menschheit, aber bis 1958 verringerte sich diese Zahl auf um die 30 Prozent herum (Kuznick, ebd.). In der Wirtschaftshochwachtumsphase trieben die Menschen die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki sowie an die Glücklicher Drache V allmählich immer mehr in die Vergangenheit.

Dennoch gab es die 1960er Jahre hindurch weiterhin jene, die ein Verbot der Wasserstoffbombe forderten; so schwoll sie 1968 zu einem heftigen Protestkampf an, der sich gegen das Einlaufen eines atombetriebenen Flugzeugträgers in die US-Basis Sasebō [in der Präfektur Nagasaki] richtete. Als dann in den 1970er Jahren der Abzug der Truppen aus Okinawa in greifbare Nähe rückte, musste es zur Problematisierung der dort auf den amerikanischen Basen stationierten Kernwaffen kommen.

Von US-amerikanischer Seite her gab es keine Milderung der Einsicht, es bedürfe einer Politik, die die „Atom-Allergie“ der Japaner weiter schwächt. Während der 1960er und 1970er Jahre erfüllte der hohe Absatz der amerikanischen Nukleartechnologie nach Japan nicht nur die Profitinteressen von Unternehmen wie GE, sondern war auch von großem Nutzen für die amerikanische Militärstrategie gewesen.

In den Überlegungen von Mark Gayn und Douglas Lummis bis zu Katō Norihiko und Takeda Tōru7 begann die „Nachkriegs“-Zeit damit, dass wir im „nuklearen Sonnenschein badeten“. Jetzt aber laufen wir durch diese zu Ende gegangene Nachkriegszeit mit „einem aufgespannten amerikanischen Schirm im radioaktiven Regen“. Das Leuchten der „atomaren Sonne“ war die amerikanische Nukleartechnologie, ausgestattet mit beiden Seiten der militärischen und der friedlichen Nutzung. Dieser nukleare Sonnenschein hat die ganze Zeit des Kalten Krieges hindurch immerfort das „Nach dem Krieg“ erhellt, binnen kurzem aber hat er sich in Regen verwandelt, der sich über unseren historischen Boden ergießt.

Sowohl Fukushima als auch Shirasaki oder Tsuruga brauchen auch weiterhin diesen Regen, damit die abgelegene regionale Gesellschaft dort fortbestehen kann. Nun aber, da wir zum vierten Mal ernsthafte Strahlungsopfer geworden sind, spüren, fühlen, dass der radioaktive Regen mehr noch als den nuklearen Sonnenschein etwas Gefährliches beinhaltet, und um diesen abzuwehren, müssen wir erneut den amerikanischen Schirm aufspannen. Zum einen hat der „Atomenergie-Sonnenschein“ eine Vielzahl von Visionen erscheinen lassen, vom Fernsehen, My Home bis hin zur Expo 1970 oder Tokyo Disneyland. Zum anderen ist auch der Schirm zur Abwehr des radioaktiven Niederschlags „Made in America“, der von seiner Substanz her vermutlich eine neue Hochtechnologie von Kontrolltechniken, Authentifizierungstechniken und Krisenmanagement-Systemen sein wird, wie sie der globale Kapitalismus erfordert.

Bei der Betrachtung der Weltausstellung in Ōsaka beginnt dieser Band mit der Frage, was die „Weltausstellung“ für jene Familien bedeutete, die mit der Schließung der Kohlebergwerke von Kyūshū auf urbar gemachtes Land nach Hokkaidō umsiedelten. Zwischen den Spuren dieser die Kohlegruben von Kyūshū und die Erschließung von Hokkaidō verbindenden Familien und der in Ōsaka eröffneten Weltausstellung gibt es eine enorme Kluft. Diese Diskrepanz war es auch, in der die Menschen in Fukushimas „Küstenstreifen8“ die Atomkraft als „Amerika“ in die Region einführten und den „Kohle-Berg“ in ein „Kernkraft-Dorf“ umwandelten. So, wie der Strom aus der nuklearen Energie des AKW Tsuruga die Weltausstellung speiste, hat der Strom aus dem Kraftwerk Fukushima seit den siebziger Jahren die Konsumgesellschaft Tokyos bis hin zur Bubble-Wirtschaft getragen. Die „Lichterflut der Atomkraft“, vom gleißenden Licht der Weltausstellung bis zum Licht, das die Konsummetropole Tokyo einfärbte, hat die Erinnerung an die dreimalige Verstrahlung immer mehr in die Vergangenheit getrieben.

Da in diesem Band die Geschichte von der Weltausstellung in Ōsaka 1970 bis zur Weltausstellung in Aichi 2005 aufgerollt wird, werden dieser „atomare Sonnenschein“ und der „amerikanische Schirm“ nicht unmittelbar thematisiert. Aber in ihrer Beziehung zu den Regionen, zu den Intellektuellen und zur Ideologie der „Erschließung“ eröffnen Weltausstellungen des Nachkriegsjapans ein Bild, das dem der zeitlich parallelen Atomenergie sehr ähnelt. Das ist kein Zufall, lassen doch die Geschichte der „Weltausstellungen“ und die der „Atomenergie“, die beide ihre Höhepunkte zwischen den 1960er und 1980er Jahren hatten, bei der Frage danach, was das „Nachkriegsjapan“ eigentlich war, die Grundlage ihres Fortbestandes hervortreten. Und in einer solchen Analogie lassen sich seit den neunziger Jahren auch die aufkommenden Probleme der Aichi-Weltausstellung und die des AKW Maki-machi in der Niigata-Präfektur vergleichen. Beide waren ein Symptom dafür, dass das über die Nachkriegsgeschichte hinweg niemals erschütterte System aufzubrechen begann. Es ist noch unklar, welchen Weg des Wiederaufbaus die Tōhoku-Region nach dem AKW-Unfall einschlagen wird. Doch dieser Band, der noch einmal nach der Weltausstellung im Kontext der Kulturpolitik des Nachkriegsjapans fragt, bestätigt noch einmal, dass solche Dinge immer auch an die Zukunft gebunden sein müssen. Und damit möchte ich dieses etwas lang gewordene Vorwort zu dieser Ausgabe beschließen.

Yoshimi Shun'ya, 6. Juni 2011

 

1 Anm.d.Ü.: Jōban bezeichnet das Gebiet um die Stadt Iwaki in der Präfektur Fukushima

2Anm.d.Ü.: Shibata war damals Leiter von Shōrikis Fernsehsender Nihon TV.

3Anm.d.Ü.: Tetsuwan Atomu ist ein Manga von Osamu Tezuka, der von 1951 bis 1968 in der Zeitschrift „Shōnen“ erschien und in den 1960ern auch als Anime-Serie verfilmt wurde.

4Anm.d.Ü.: Die Jōban Coal Mining Co. beschloss, in den 1960er Jahren durch die Schließungen in den Kohlegruben in Iwaki ein solches Ferienerholungsgebiet mit dem Thema eines „Jōban Hawaiian Center“ (heute: „Spa Resort Hawaiians“) aufzuziehen. Zu diesem Ereignis gibt es auch eine 2006 gedrehte und vielfach ausgezeichnete Filmkomödie mit dem Namen „Hula Girls“.

5Anm.d.Ü.: Dort befinden sich immer noch die größten, oft umstrittenen, Militärstützpunkte der US-amerikanischen Armee auf japanischem Boden sowie amerikanische „Dörfer“ nach oben erwähntem Muster.

6Anm.d.Ü.: Kevin Maher musste daraufhin Anfang März, wenige Tage vor dem Erdbeben, seinen Posten verlassen.

7Anm.d.Ü.: Die gennanten Autoren waren und sind teilweise Mitglieder der Friedensbewegung und eigentlich Atom-Kritiker.

8Anm.d.Ü.: Der „Küstenstreifen“ (Hamadōri) ist der Name für den östlichen Teil der Präfektur Fukushima, der alle Kommunen an der Küste umfasst.

 

Übersetzung: Katrin Gengenbach/Steffi Richter

gengenbach@uni-leipzig.de

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